Diskussionsrunde beim Offenem Plenum am 31 Jan.

Am 31 Januar findet unser nächstes offenes Plenum statt, bei diesem Plenum wird es um die Frage der Militanz gehen. Grundlage wird dieser Text , der zuerst auf Indymedia erschien. 

                  

Vive la militance!

Warum schweigt die viel beschworene linke Szene Leipzigs und lässt es zu, dass die politische Wahrnehmung und Debatte von Gruppen bestimmt wird, denen außer zwischen brachial-schwülstiger und zutiefst menschenverachtender Rhetorik changierender Pamphlete und Praxis nichts einfällt. Ein Aufschlag zur Debatte.

Am 6. November 2019 wurde vom Sächsischen Innen-und Justizministerium die Einrichtung einer Soko LinX verkündet., die sich dezidiert den Kampf gegen „linksextreme Strukturen“ auf die Fahne geschrieben hat.

Was erst mal nicht mehr als ein säbelrasselndes Wahlkampfmanöver war, wurde flankiert durch eine sich massiv verstärkende politische Einmischung der Polizei in Form von öffentlichen Statements der Polizeidirektion Leipzig und ihres Präsidenten Torsten Schultze. Moniert wurden von ihnen unter anderem ACAB-Rufe auf Demonstrationen, ein Schlachtruf, der seit den 1970er zu diversen Jugendkulturen gehört und laut Bundesverfassungsgerichtsurteil von der Meinungsfreiheit geschützt sein kann.
Als Feinde wurden von der Polizei immer wieder auch öffentliche und private Personen und politische Projekte markiert. Aber auch von rabiaten Polizeieinsätzen gegen Demonstrierende ist zu berichten.
Zum Jahreswechsel 2019/20 eskalierte die Polizei dann vollends.
Über den Hergang dieser Nacht und die darauf folgende Diskussion ist an vielen Stellen bereits geschrieben worden.

Es stellt sich eine ganz andere Frage: Nämlich warum die viel beschworene linke Szene dieser Stadt zu all diesen Vorgängen weitestgehend schweigt und es zulässt, dass die politische Wahrnehmung und Debatte von Gruppen bestimmt wird, denen außer zwischen brachial-schwülstiger und zutiefst menschenverachtender Rhetorik changierender Pamphlete nichts einfällt.

Das will dieser Text ändern. Er versteht sich explizit als Aufruf zur Debatte.

Die Stadt Leipzig gilt als Insel im Freistaat Sachsen. Dass sie das nicht ist und kapitalistische Vergesellschaftung mit Niedriglöhnen, Armut, einem boomenden profitorientierten Immobilienmarkt, mit Abwertung und Kriminalisierung von Menschengruppen und einer außer Rand und Band geratenen Polizei hier Alltag sind, muss nicht ausgeführt werden. Doch die linke Szene in dieser Stadt hat sich weitestgehend in die Versenkung verabschiedet.

Die Verhinderung von Neonazi-Aufmärschen wird einem Partei-dominierten Aktionsnetzwerk überlassen, der Kampf gegen das Zentrum rechter Netzwerke in der Kamenzer Straße findet kaum Anklang, Initiativen gegen Entmietung, Arbeitskämpfe oder polizeiliche Repression werden von einigen wenigen betrieben. Wohnungslosigkeit um den Hauptbahnhof und permanentes racial profiling durch die Cops in der Innenstadt und im Osten der Stadt fallen weitestgehend aus dem Fokus. Und sogar die permanente polizeiliche Videoüberwachung im Herz des „widerständigen“ Viertels Connewitz ist jetzt Angelegenheit von Gerichten, aber längst nicht mehr von politischen Debatten oder gar Widerstand.

Das was aus Leipzig auffällt sind nicht erfolgreiche Gegenschläge gegen die faschistische AfD. Die kann in bestimmten Stadtteilen auf beträchtliche Erfolge verweisen. Strategiedebatten wie mensch ihnen den Raum nimmt, bevor sie wie im ländlicheren Raum Dominanz erringen und emanzipatorischen Projekten den Garaus machen, fehlen. Mensch fühlt sich eben sicher in seinen Kiezen und der komfortablen Mehrheit im Stadtrat. Trotz der Pflänzchen Unermütlicher fehlt es auch an kontinuierlichen sozialen Kämpfen, gegen die Entrechtung und Ausbeutung von Lohnabhängigen oder eben Mieter*innen. Kein breites Thema für die radikale Linke, die scheinbar auch hier auf die Parteipolitik und auf kooperatistische Gewerkschaften und Mieterverein schielt. Ganz zu schweigen von praktischer und ideeller Solidarität mit Geflüchteten, die in den letzten Jahren zu den am meisten deklassierten und wortwörtlich gejagten Menschengruppen zählen, auch auf der vermeintlichen Insel Leipzig.

Stattdessen reiben sich so manche Szenegänger*innen die Hände, wenn in der Stadt ein Bagger brennt, wenn Faschos die Bude verwüstet oder dem AfD-Treffort die Räume angezündet werden. Während hier einige die Dreckstarbeit machen und einige wenige diese politisch verteidigen müssen, liegt der Rest der Szene in Lethargie. Und er liegt es immer noch, wenn Grenzüberschreitungen stattfinden, die aus einer emanzipatorischen Perspektive nicht mehr vertreten werden können. So beispielsweise der „Hausbesuch“ bei einer Mitarbeiterin eines Immobilienunternehmens, das in Connewitz derzeit teure Eigentumswohnungen errichtet.

Früher ging es einer autonomen Linken darum Aktionen zu machen, mit denen Menschen, die nicht in der eigenen Blase schwimmen, erreicht werden können. Wenn eine Mitarbeiterin eines relativ kleinen Immobilienunternehmens in ihrem privaten Rückzugsraum aufgesucht und geschlagen wird, ist das nicht nur blöd, sondern auch feige. Und es ist nicht vermittelbar. An eine prononcierte Aktion vor dem Wohnhaus von Christoph Groener (CG), der mit seinen Millionen- oder Milliardengeschäften Menschen und Projekten die Existenz raubt, wäre um vieles effektvoller. Und vermittelbarer.
Kleiner Wehrmutstropfen für die, die denken, Kritik an hohen Mieten durch Baggerbrände und Hausbesuche vorangebracht zu haben: Der vom Oberbürgermeister einberufene Runde Tisch umfasst vor allem Privatinvestoren, Stadt und sehr sehr wenige Feigenblätter auf der Seite der vermeintlichen Kritiker*innen. An der Rendite-Spirale von kapitalistischen Immobilienunternehmen, die auch die Stadtverwaltung mit befördert, ändert das gar nichts. Chapeau für diesen Erfolg.

Wer Cops zu Silvester so heftig angreift und Menschen, die scheinbar nichts anderes wert sind als „Artillerie“ zu sein, verheizt, der hat das Maß verloren. Jedes Wort von „Solidarität“, das diese Akteure aufschreiben, ist nichts anderes als pupertäres Gewichse. Die Dresche, Schnellverfahren und Inhaftierungen mussten andere einstecken, die gesellschaftliche Vermittlung dieses von den Cops willentlich herbeigeführten Gewaltaktes andere übernehmen.

An dieser Stelle sei die Eskalationsspirale, die die von einem CDU-geführten Innenministerium gelenkt und von einem Ordnungsfanaktiker, der seine Affekte nicht im Griff hat, geführte Polizei Leipzig, losgetreten wurde ausgeblendet. Dies skizziert folgender Text: https://de.indymedia.org/node/57711

Nebenbei bringen diese Akte Menschen in Gefahr. Nicht Immobilienhaie, nicht Cops, sondern die eigenen Genoss*innen.
Die beiden Ermittlungsverfahren gegen antirassistische Fußballfans in den Jahren 2013 bis 2018 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung haben gezeigt, wie weiter Kreise Telekommunikationsüberwachung, Ortung von Anschlüssen und Observation wegen Nichts ziehen können. Bei dem aktuell mutmaßlich geprüften Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung dürften die Maßnahmen um einiges härter ausfallen. Hierbei geht es nicht um den Papiertiger Soko LinX. Wer soll dann noch in seinen Zusammenhängen offen über linke Strategien sprechen können, und sei es nur die Blockade der nächsten Faschodemo?
In klandestinen Zirkeln hängen und jede*n der*die mit tun will, einer eingehenden Sicherheitsüberprüfung unterziehen? Eine geschlossene Parallelwelt aufbauen? Ist das eine Strategie, die zur gesellschaftlichen Umwälzung führt? Die Autor*innen dieses Textes sagen: Nein. Und wünschen sich, dass eine breite Diskussion in der linksradikalen Szene begonnen wird, die Solidarität nicht mit Füßen tritt, wie es kleine Gruppen von hasserfüllten Indymedia-Schreiber*innen gerade tun.

Was will linksradikale Kritik und Politik? Die Herrschenden in Wirtschaft und Staat einschüchtern, die Welt verändern ohne Macht zu übernehmen. So weit, so d‘accord. Die Geschichte der RAF hat zu gut gezeigt, dass die Perspektive, dass „eine bewaffnete Gruppe, so klein sie auch sein mag, bessere Aussichten hat, sich in eine große Volksarmee zu verwandeln“ (Ulrike Meinhof 1972) nicht aufgegangen ist. Das schreiben wir nicht, weil wir uns an den schamlosen Gleichsetzungen von RAF und SA oder Antifa und NSU (CDU-Stadtrat Michael Weickert in der Sitzung des Leipziger Stadtrats am 07. November 2019) bedienen wollen. Sondern um aufzuzeigen, dass maßlose Militanz das Gegenteil erreichen kann und der Staat nicht vor allem vorgeführt werden, sondern alles dem Boden gleichmachen kann, was ihm nicht in den Kram passt, während weite Teile der Gesellschaft dazu klatschen und johlen. Ansätze dieses Agierens sind bereits im ländlichen Raum in Sachsen zu besichtigen, wo den letzten Freiräumen von einem Bündnis aus AfD und CDU vielerorts eine Ende droht, unter straightem Verweis auf antifaschistische oder widerständige Inhalte.

Kuschen oder Defensive sind keine Alternative. Das ist klar. Die Frage ist wie wir Gesellschaft verändern wollen. Die linke Geschichte lehrt uns, dass Umbrüche gegen eine Mehrheit der Bevölkerung schnell in Unterdrückung und Unterwerfung enden. Dies kann nicht erneut eine Option sein. So unwahrscheinlich ein breiter gesellschaftlicher Umbruch gerade im Osten derzeit scheint, so sehr kann die Devise jetzt nicht auf reine Selbstverteidigung setzen. Für eine radikale Linke ist es essentiell Bruchstellen zu finden und Menschen von einer solidarischen Alternative zu überzeugen oder sie zumindest auf diese Seite zu ziehen. Gelegenheiten dazu gibt es derzeit viele, siehe Arbeits-, Mieten-, Öko- oder klassische antirassistische und antifaschistische Kämpfe. Und all das ist harte Arbeit.

So wichtig die Pflege und Verteidigung von solidarischen Kiezen ist, so trübe ist es seine Politik darauf und in diese zu verlegen, sich dabei gleichzeitig als Legislative, Judikative und Exekutive zu gebärden („Kiezmiliz“: „Unser Kiez, unsere Regeln“) und all die anonym mit Steinen o.a. heimzusuchen, die habituell oder in ihrem Tun nicht diesen geheimen Regelkatalog entsprechen.

Dieser Text will kein Plädoyer für oder gegen bestimmte Strategien hinlegen, will auch keine Spaltung zwischen guten und schlechten Aktionsformen aufmachen. Aber er will gegen das große Schweigen und Erdulden von Plumpheit und im als anarchistisch bemäntelten Dogmatismus angehen.

Linksradikale Kämpfe sollten klug, einbindend und Militanz in ihnen ein Mittel zu Durchsetzung von Zielen und kein Selbstzweck sein. Die Polizei wegzuhauen macht längst keine emanzipatorische Gesellschaft, wenn es keine Strukturen gibt, die eine freie Gesellschaft basisdemokratisch gestalten und verwalten. Immobilienfirmen zu enteignen, in gemeinwohlorientierte kollektive Strukturen zu überführen, Häuser zu besetzen und parallel Nachbarschaften zu organisieren sind dagegen bereits ein kleiner Schritt ins Andere, der bei weitem nicht gewaltlos vonstatten gehen wird.

Oder um mit Johannes Agnoli zu sprechen: In einem kritischen Handeln muß man immer die Bruchsituation erkennen, in die man sich hineinbegeben kann[…] Es geht darum, daß man sieht, jetzt entsteht eine Bruchsituation, die nicht nur Ideen und Prinzipien betrifft, sondern die Lebensbedingungen von Millionen Menschen. Also muß man sich überlegen, was in einer solchen Bruchsituation zu tun ist.“

Anders gesprochen: Gewinnen wir Herzen, gewinnen wir Köpfe, damit wir in einer Umbruchssituation nicht alleine hinter der Barrikade stehen.